Biblische Plagen und ihre Absicht

Wenn man davon ausgeht, dass es einen Plan mit der Menschheit gibt und dass unserem Leben eine Absicht zugrunde liegt, dann sollte man versuchen, den Plan und die Absicht zu ergründen.

Biblische Plagen und ihre Absicht

Man stößt dabei auf die großen Menschheitslegenden, in unserem Kulturkreis unter anderem auf das Alte Testament. In ihm wird davon berichtet, wie die Menschen unter dem Gesetz lebten. Gott wird gefürchtet: bei den einen ist es Ehrfurcht, bei den anderen Angst. Es gilt das Prinzip  des Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Und dann stößt man auf das Neue Testament, in dem die Menschen mit dem Christus-Impuls verbunden werden. Die Idee, dass Gott Liebe ist, tritt in den Vordergrund und wir hören/lesen die Worte:

Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst.1

Und ferner:

Wenn dich jemand auf eine Wange schlägt, so halte auch die andere hin.²

Das ist ein neues Gottesbild. Jesus sagt auch:

Wenn jemand die Güter der Welt besitzt und seinen Bruder oder seine Schwester in Not sieht und sein Herz vor ihnen verschließt, wie kann er dann Gott lieben?³

Diese Ideen wurden von den frühen Christen, darunter den gnostischen Gruppierungen4, enthusiastisch aufgenommen und als befreiend empfunden. Sie verbreiteten sich schnell. Das Leben nicht mehr egozentrisch auszurichten, nicht mehr von Angst beherrscht zu sein, sondern in Liebe und Vertrauen zu leben, für Gott, für die Nächsten und die ganze Schöpfung – das war ein innerer Aufbruch.

Das Ideal und unsere Wirklichkeit

Aber der Konservativismus und die Angst und die Macht waren nicht verschwunden. Es folgten zweitausend Jahre, die ein Tauziehen darstellten zwischen dem Ruf der Ideale und dem Ausleben von Macht und Angst. Das offizielle Christentum erlebte seinen Aufstieg und Niedergang. Seine Machthaber sorgten dafür, dass die Furcht weiterhin herrschte. Die Kreuzzüge, die Verfolgung der sogenannten Ketzer, die die Grenzen der kirchlichen Gesetze und Dogmen durchbrachen, die Hexenverbrennungen und Religionskriege und vieles andere legen davon Zeugnis ab. Zeiten des Friedens und des Wohlstands endeten in Kriegen, Krankheiten und Katastrophen. Das alttestamentliche Denken lebte in neuem Gewand weiter. Die vielfältigen Plagen interpretierte man als Gottes Rache, und so folgte eine Bußpredigt auf die andere.

Welchen Sinn hat das Hin und Her zwischen Ideal einerseits und Macht und Furcht andererseits? Sollen wir in aufeinander folgenden Leben daraus lernen?

Die Bibel sagt:

Mein Volk geht verloren, weil es keine Kenntnis hat.5

Frühe Schriften des Christentums enthielten die Lehren vom Karma und der Reinkarnation. Sie wurden jedoch bereits im 4. Jahrhundert aus dem offiziellen Kanon entfernt. Die Kirchenväter entschieden sich für die Auffassung, dass es nur dieses eine Leben gibt und dann die ewige Hölle oder zumindest das Fegefeuer kommt, oder, für die Rechtgläubigen, das ewige Himmelreich. Auf diese Weise wurden Angst und Herrschaft aufrecht erhalten.

Gott ist Liebe, aber seine Wege sind, so lehrt man, unergründlich. Wir müssen glauben, dann werden wir auf ewiglich erlöst.

Im 19. Jahrhundert kam Darwin mit seiner Theorie vom survival of the fittest, dem Überleben des Stärkeren, desjenigen, der sich am Besten den Umständen anpassen kann. Das Entscheidende hängt, so die Darwin’sche Erkenntnis, von Zufällen ab, von zufälligen Mutationen (Änderungen) in der genetischen Information. Die Sicht, dass sich die Natur nach eigenen Gesetzmäßigkeiten wandelt, hat immer mehr Anhänger gefunden. Man braucht nun Gott nicht mehr, um zu erklären, warum es verschiedene Arten von Lebewesen gibt. Der Sinn des Lebens geht bei der rein naturwissenschaftlichen Sichtweise verloren, und damit zugleich die Auffassung, es gebe einen dem Leben zugrunde liegenden Plan. Übrig bleibt das Bestreben jeder Spezies, sich selbst zu erhalten.

Während all dieser Entwicklungen haben die Gnostiker, gleichsam als eine Unterströmung in der Kultur, weiter gewirkt. Sie haben auf vielerlei Weise das „Wissen des Herzens“ verbreitet, das Wissen von der Herkunft und dem Sinn der menschlichen Existenz. Und sie fanden auch immer wieder Menschen, die sich dem geöffnet haben, die dieses Wissen in sich selbst bestätigt fanden. Der Mensch ist ein Mikrokosmos, ein Abbild des großen Makrokosmos, so die Lehre der Gnostiker. Er hat hier auf der Erde einen Lernprozess zu durchlaufen, der sich von Leben zu Leben fortsetzt. Bis endlich eine Erfahrungsreife entsteht und die große Sehnsucht durchbricht, die Sehnsucht des göttlichen Funkens, des menschlichen Urquells. Wenn das Herz von ihr ergriffen wird, werden wir in die Lage versetzt, uns von der „zentripetalen“, der ich-zentralen Haltung abzuwenden und zum Gottsuchenden zu werden. Wir erblicken das Leiden mit neuen Augen und helfen mit, den Weg zu bahnen, der in die Einheit zurückführt.

Bislang haben wir das Ziel verfehlt

Wir sind Teil eines „rebellischen Volkes“. Wir haben entdeckt, dass wir für uns und die Unsrigen Luxusgüter anhäufen können. So haben wir nach und nach den in uns angelegten Drang zum Absoluten umgepolt auf das Bemühen, die Dinge hier für uns schöner, größer und schneller zu machen. Der uns eingeborene Drang zur Verwandlung wurde zu einem äußeren Fortschritt nach der Maxime: „nichts soll bleiben, wie es war“.

Seien wir ehrlich, wir sind an all dem beteiligt. Auch an dem Wettbewerb, dem Prinzip, das an die Stelle der Einheit getreten ist. Welches Land hat den höchsten Wohlstand, das höchste Gebäude …? Den verheißenen Himmel, unseren Ursprung und unser Ziel, haben wir nicht erreicht. Nun rauben wir stattdessen die Erde aus, verschmutzen und vergiften die Luft, die Meere und Böden. Unser nukleares Zerstörungspotenzial übersteigt die Zahl der Menschen um ein Vielfaches, Tier- und Pflanzenarten sterben aus, und es ist klar, dass wir infolge dessen immer neue Krankheiten bekommen.

Wir haben unser Ziel verfehlt, das Ziel unserer Existenz. Und so geschieht immer mehr Unerwartetes: Unfälle mit Atomkraftwerken, die extreme Zunahme von Krebs und nun eine Pandemie, die die Menschheit zu ersticken droht und die durch zusammenbrechende Wirtschaftsformen den ärmsten Teil der Menschen dem Hungertod nahe führt.

Diejenigen, die noch eine Bibel haben, erinnern sich vielleicht an das Buch der Offenbarung, wo die Engel die Waagschalen des Zorns über die Welt ausgießen. Die Folgen sind Brände, Überschwemmungen, Vergiftungen, schreckliche Tumore, Erstickungen und Hungersnöte.

Ist das der Gott der Liebe, der dies durch die Prophezeiung und Vision des Johannes auf Patmos vorhergesagt hat? Oder ist es die Rache des Gottes des Alten Testaments?

Karma und Befreiung

Es dürfte einfach das Gesetz des Karma sein, das Gesetz von Ursache und Wirkung, dessen Wirksamkeit wir erfahren. Es ist sowohl Naturgesetz als auch göttliches Gesetz, und es bedeutet die Korrektur unseres Verhaltens. Wir haben als Menschheit ein Welt-Karma auf uns geladen. Wir haben die Spannung zu dem Ideal, das die eigentliche Grundlage unseres Daseins ist, so sehr erhöht, dass der Planet, die Natur und der menschliche Körper sie nicht mehr ertragen können. Und so kommt es zu den extremen Entladungen.

Gott ist Liebe. Auch das Gesetz des Karma ist Teil der göttlichen Liebe. Was der Mensch sät, muss er ernten, die Spannung muss sich entladen, die Erde muss zur Ruhe kommen und wir Menschen auch. Viele erleben, dass Reue und Schweigen ein Segen sind. Vielleicht haben sie sich in all der Eile und Hektik unbewusst danach gesehnt. Vielleicht äußert sich auf diese Weise die Absicht, die hinter unserer Existenz steht, der göttliche Plan. Jedenfalls führen die aktuellen Entwicklungen bei vielen zu einer Erfahrungsreife, zu einem Akzeptieren, dass nichts mehr so sein wird wie vorher. Auf dieser Grundlage kann das Bewusstsein für den wahren Sinn des Menschseins aufleuchten. Das Herz kann den Weg weisen, wenn es zur Ruhe gekommen ist. Neue Einsichten können auftreten. Wir bekommen die Gelegenheit, von der Gegenbewegung zur Mitwirkung an dem Plan überzugehen. Schließlich endet das Buch der Offenbarung mit einer freudevollen Schau:

Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, und der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen.6

 

– 1. Markus-Evangelium Kap. 12 Vers 30

– 2. Lukas-Evangelium Kap. 6 Vers 29

– 3. Der erste Brief des Johannes, Kap. 3 Vers 17

– 4. Gnosis = Kenntnis des Herzens

– 5. Das Buch Hosea im Alten Testament, Kap. 4 Vers 6

– 6. Offenbarung Kap. 21 Vers 1

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Datum: August 8, 2020
Autor: Anneke Stokman-Griever (Netherlands)

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