Eins mit dem Geliebten

Plotin sagt: Es gibt nichts, was noch besser ist, als Jenes zu schauen. Die Seele achtet dann alles andere, woran sie zuvor ihre Freude hatte, Herrschaft, Macht, Reichtum, Schönheit, Wissen, als gering. Denn sie ist einem begegnet, das stärker ist als all das.

Eins mit dem Geliebten

 

Sie fürchtet auch nicht, dass ihr etwas zustoßen könnte, wenn sie bei Jenem ist. Sie ist erfüllt von dem himmlischen Eros, von einer inneren gleichsam erotischen Erschütterung. Dort droben ist das wahrhaft und eigentlich Geliebte, mit dem auch eine wirkliche Vereinigung möglich ist. Die Seele, die Teil an ihm erhält, empfängt neues Leben und sie erkennt, dass der Spender des wahrhaften Lebens bei ihr ist und sie keines Dinges mehr bedarf. Vielmehr gilt es, alles andere von sich abzutun und in ihm allein still zu stehen, in reinem Alleinsein, um mit dem ganzen Selbst jenes zu umfassen und keinen Teil mehr in uns zu haben, mit welchem wir Gott nicht berühren.

So ist es denn dort oben vergönnt, fährt Plotin fort, Jenen und sich selbst zu schauen, soweit Schauen das rechte Wort ist, sich selbst von Glanz erhellt, erfüllt von geistigem Licht, oder besser selbst Licht geworden, rein, ohne Schwere, leicht, ja Gott seiend. Man ist in diesem Augenblick entzündet. Aber es ist klar, dass man dann wieder schwer wird und gleichsam erlischt. Man fällt zurück in das niedere Sein.

 

Plotin –   Resonanz zu Text 11  „Eins mit dem Geliebten“
Die Sehnsucht zeigt mir, dass alles, was ich mir an Glück gewünscht habe in Partnerschaft und Familie, dass aller persönlich definierte „Erfolg“, Schönheit und Wissen begrenzt bleiben.

In Momenten großer Enttäuschung, wo nichts mehr zu gelingen scheint, wo ich mich klein, unbedeutend, ohnmächtig fühle, ist da eine Leere, ein tiefer Abgrund.
Ich empfinde das Scheitern meines irdischen Willens.

Die Sehnsucht will weit über alles meinem Vorstellungsvermögen Bekannte hinaus. Und so ist sie mein Führer zu einer Liebe, die ohne all die vielen menschlichen Dinge alles Mehr-als-Gewünschte vereint.

Höre ich auf die leise Stimme in mir und folge ihr? Sie fordert von mir Alles, das habe ich schon erfahren. Weiche ich (wie so oft) aus und gehe zur Tagesordnung über? 
Durch pausenlos neue äußere Aktivitäten, Ablenkungen, dadurch, dass ich es wieder anderen Menschen recht machen will?

Ich nehme mir Zeit zu lauschen, springe hinein voller Gottvertrauen in die Forderung des Jetzt, in das Empfinden, das angeschaut werden will – auch wenn es sich unangenehm anfühlt, ohne Fluchtgedanken, – und empfange das Ungewisse.

Mit einem Mal ist da tiefer Friede, ich BIN einfach, ich bin EINS mit etwas Großem, und es steigt etwas auf, mit dem ich nicht gerechnet habe. Es ist ganz neu, nie dagewesen, es kann sanft sein, mich trösten, in mir etwas zum Schmelzen bringen, aber auch mich brennen, dann löst sich etwas auf, oder es kann mich vor Frische fast zerreißen, dann kommt Freiheit                                                       

– oder:
Ich kann aus tiefster Seele lächeln.

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Datum: September 1, 2020
Autor: Gunter Friedrich (Germany)
Foto: Anne-Elisabeth Seevers

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