Woran glaubst du?

„Nachbarin, glaubst du an Gott?“ Er lehnt sich aus dem Fenster seines kleinen Zimmers, ich bin im Garten beschäftigt. „Ja, ich glaube an Gott“, antworte ich.

Woran glaubst du?

Er geht beruhigt zurück zum Spielen. Ich weiß, dass seine Eltern nicht an etwas glauben, aber sie haben ihn auf die katholische Grundschule geschickt, weil sie die nächstgelegene ist. Nun, als Kind muss man herausfinden, wer denn nun an Gott glaubt und wer nicht.

Nach meiner spontanen Antwort denke ich, dass ich es mir etwas leicht gemacht habe. Man glaubt oder man glaubt nicht … Aber woran glaubt man denn eigentlich, wenn man glaubt? Die Antwort ist nicht leicht zu finden. Wir haben es mit zwei Jahrtausenden Religionsgeschichte zu tun, mit Märtyrern, Religionskriegen, Ketzerverfolgungen, Kirchenspaltungen und weiteren Spaltungen dessen, was sich abgespalten hat. Und: Wenn man nicht glaubt, was ist es denn, woran man nicht glaubt? Jahrhunderte lang gab es Diskurse über den (fehlenden) Beweis der Existenz Gottes. Man kommt an kein Ende.

Glauben, dass „es etwas gibt“

Ich sage mir: Vergiss all das mal und versuch ganz einfach zu formulieren, woran du glaubst. Doch sofort fällt mir ein, wie sehr der Glaube mit Institutionen verbunden ist, die den Glauben verkünden. Sie haben Regeln aufgestellt, kennen Gesetze, Vorschriften und Formen, in denen über Gott gedacht und gesprochen wird. Es gibt Arten der Anbetung und Formen des Umgangs mit „Ungläubigen“. Doch wenn ich mich von all dem Beiwerk befreien will – dann lande ich beim Glauben an „etwas, das größer ist als ich“, dem ich vertraue und dem ich mich hingeben kann. Heute, wo die Kirchen sich (in vielen Ländern) leeren, ist es zum Trend geworden, zu glauben, „dass es etwas gibt“.

Das Thema von Heft Nr. 8 von LOGON Die Gesichter Gottes erinnert an die Aussage: „Gott ist alles in allem.“ Wenn ich mich von diesem Gedanken durchdringen lasse, rückt mir seine Größe nahe: Gott ist Atem, Leben, Gott ist Bewusstsein und Liebe, er ist in jedem Atom, er ist der Schöpfer von allem, was ist, er ist uns „näher als Hände und Füße“.

Das Größere rückt mir näher

Das Wunder, dass es Leben gibt, konnte von der Wissenschaft bislang nicht enträtselt werden. Dass ein Baby, sobald es geboren ist, seine Lungen benutzt und zu atmen beginnt, dass ein Mensch atmen muss, bis er stirbt – darin zeigt sich das Göttliche. Alles auf der Erde atmet. Der Dschungel ist die Lunge der Erde. Welch ein grandioses Zusammenwirken! Der Mensch verbraucht Sauerstoff und atmet Kohlendioxid aus, bei Bäumen und Pflanzen ist es umgekehrt, ein perfekter Kreislauf – darin zeigt sich Gott. Und was macht der Mensch? Alle 5,67 Sekunden, Jahr für Jahr, wird ein „Fußballfeld voller Bäume“ gefällt, wird der Kreislauf der Atmung behindert. Ist es da ein Wunder, dass eine Pandemie auftritt, bei der die Menschen nicht mehr atmen können?

Auch beim Wasser gibt es einen Kreislauf: der Regen fließt in den Flüssen ins Meer, das Meerwasser verdunstet zu Wolken, die über dem Land wieder als Regen niedergehen – darin zeigt sich Gott. Und was macht der Mensch? Er baut unvorstellbar große Staudämme: Der Stausee für das größte Kraftwerk Afrikas in Äthiopien am Nil benötigte sechs Jahren, um vollzulaufen. Jetzt ist der See 500 Kilometer lang und 30 Kilometer breit. Er dient der Stromgewinnung. Die flussabwärts gelegenen Länder bekommen nun zu wenig Wasser, der Schlamm wird nicht mehr abgelagert und wird durch Kunstdünger ersetzt. Die Böden versalzen und bringen weniger Ertrag. Auch hier ist ein Atemzyklus weitgehend zum Stillstand gekommen. Ist es da ein Wunder, wenn es Kriege um Wasser gibt? Gott hat noch viele andere Gesichter. In dem Buch Das verborgene Leben der Bäume von Peter Wohlleben können wir lesen, wie die Bäume im Wald unterirdisch miteinander kommunizieren, sich gegenseitig schützen und wie die Starken den Schwachen helfen. Und wie Wasser der Träger von Emotionen ist. Mehr und mehr wunderbare Entdeckungen des Göttlichen werden gemacht.

Und doch scheint es, als ob der Mensch die vielen Gesichter Gottes nicht erkennt. Er hat den Blick für das Heilige verloren, und so folgt er seinem Eigensinn, den eigenen Plänen. Und er muss die Folgen davon tragen. All die Verbrennungsmotoren in der Welt, die mit fossiler Energie betrieben werden, zu Lande, zu Wasser und in der Luft und all die Kraftwerke heizen die Atmosphäre der Erde auf, so dass bereits jetzt einige Inseln im Meer verschwunden sind. Man bemüht sich, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Doch Rechenzentren, Bitcoins, Algorithmen, 5 G-Netzwerke, immer anspruchsvollere Telefone, Clouds und was sonst noch alles verlangen nach mehr und mehr Strom. Der Energiehunger ist unersättlich. Die Tatsache, dass jeder Verbrennungsprozess auch Sauerstoff verbraucht, wird als unvermeidbar angesehen. Gibt es nicht genug Sauerstoff auf der Erde? „Und das CO2 binden wir in der Erde, im Boden.“ Unsere Gesellschaft ist auf „mehr“ fokussiert, und so wächst unsere Abhängigkeit von der Elektrizität.

Wir müssen die Konsequenzen dessen durchleben, was wir tun, auch das ist ein „Gesicht Gottes“. Die Liebe Gottes will das Bewusstsein der Menschheit wecken, einer Menschheit, die dabei ist, die Erde zu einem unbewohnbaren Planeten zu machen.

Der Glaube, der tiefer reicht

Zu glauben, dass „da etwas ist“, ist zu wenig. Der Glaube, dass in der Natur „alles ist“, weil Gott es so gewollt hat, das ist es. Zu glauben, dass der Menschheit die Erde als „Schule“ gegeben wurde, in der sie die Erfahrung der Widersprüche, der Halbheiten und Begrenztheiten in der materiellen Welt durchleben kann, das ist ein Glaube an Gott, an die göttliche Absicht, der tiefer reicht. Gottes Liebe gibt der Menschheit immer wieder neue Möglichkeiten, sich dieser Wahrheit zuzuwenden.

An Gott zu glauben heißt, zu glauben, dass es uns gegeben ist, zu einem Verstehen zu gelangen. Dem Verstehen, dass es darum geht, der göttlichen Liebe zu folgen und sich über die Welt der Gegensätze zu erheben und in die Welt der Einheit zurückzukehren, die wir einst aus freiem Willen verlassen haben. Darin liegt zugleich die Entscheidung für eine viel höhere „Elektrizität“, für ein Lebensfluidum, das man auf den Wegen der Seele als den „Feueräther“ bezeichnet hat. Er ist der Träger für einen neuen Bewusstseinszustand. Wenn wir uns für den Feueräther öffnen, wenn wir uns von ihm durchdringen lassen, verwandeln wir uns und der göttliche Kern in uns kann sich entfalten.

Du bist es

Wir empfangen dann als klares Wissen, als Wissen aufgrund innerer Wahrnehmung: Gott ist alles in allem. Wir empfangen eine Selbsterkenntnis, deren Ausmaß wohl jeden erschüttert. Es ist dann nicht mehr notwendig, „die Existenz Gottes zu beweisen“. Denn in der Tiefe der Dinge gibt es nichts außer Gott, auch keinen einzigen von uns. Du – in deiner Tiefe – bist es.

 

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Datum: Juli 30, 2021
Autor: Anneke Stokman-Griever (Netherlands)

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